Positionspapier des Interessenverbands hessischer Schulleitungen e.V. zur bevorstehenden Arbeitszeiterfassung
Hintergrund
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 haben die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitgeber festgelegt. Diese Entscheidungen bieten eine einmalige Gelegenheit, das Arbeitszeitmodell für Lehrkräfte und Schulleitungen zu überdenken und zu reformieren.
Wir fordern das Land Hessen, insbesondere den Minister für Kultus, Bildung und Chancen, auf, zeitnah die Erfassung der Arbeitszeit von Kolleginnen und Kollegen einzuführen.
Chancen und Vorteile der Arbeitszeiterfassung
- Verbesserung der Unterrichtsqualität:
- Studien belegen, dass durch den gesellschaftlichen Wandel der Anteil der außerunterrichtlichen Aufgaben für Lehrkräfte in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Dies geht zu Lasten der Arbeit am und mit dem Kind. Es ist nachgewiesen, dass Kolleginnen und Kollegen im Mittel eine Überstunde pro Woche leisten; Lehrkräfte kompensieren diese dauerhafte und systemische Überlastung mit der Reduzierung der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Dies kann nicht im Interesse des Ministeriums, der Schulleitungen, der Lehrkräfte, der Eltern und insbesondere der Schülerinnen und Schüler liegen.
- Durch die Identifikation von zeitlich besonders belastenden Arbeitsfeldern können Maßnahmen ergriffen werden, um Lehrkräfte gezielt zu entlasten und ihnen mehr Zeit für ihre Kernaufgabe – die Arbeit mit und am Kind – zu geben.
- Durch die dringend notwendige Unterstützung durch Verwaltungsfachkräfte des Landes, technische Assistenten, Gesundheitsfachkräfte, UBUS-Lehrkräfte und weitere sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten Lehrkräfte eine deutliche Entlastung erfahren und der Unterricht wieder effektiver und effizienter werden.
- Transparenz der Arbeitsfelder:
- Durch eine detaillierte Erfassung der Arbeitszeit wird sichtbar, welche Tätigkeiten neben der Unterrichtszeit bei Lehrkräften anfallen. Die Einteilung der Tätigkeiten in 12 Arbeitscluster (z. B. Beratungen, Aufsichten, Unterricht), wie von Dr. Frank Mußmann entwickelt, befürworten wir.
- Bei Schulleitungen sieht Herr Dr. Mußmann zusätzlich vier Arbeitscluster vor:
- Leitung und Personalführung
- Administration, Qualitätssicherung und Schulorganisation
- Pädagogische Gestaltung und Entwicklung
- Pädagogische (Krisen-)Intervention
- Erfüllung der Fürsorgepflicht und Gesundheitsschutz:
- Eine genaue Erfassung der Arbeitszeit unterstützt die Schulleitungen dabei, ihre Fürsorgepflicht zu erfüllen, indem sie Überlastungen frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen können. Lehrkräfte erhalten einen Schutz vor Burnout und Überarbeitung.
- Durch die Vermeidung von Überlastung wird die Gesundheit der Lehrkräfte gefördert, was langfristig zu weniger Krankheitsausfällen führt.
- Transparente Arbeitszeiten ermöglichen eine gerechtere Verteilung der Arbeitslast und identifizieren Bereiche, in denen Entlastung notwendig ist. Genaue Daten zur Arbeitszeit können helfen, Ressourcen besser zu verteilen und gezielte Unterstützung zu bieten, wo sie dringend benötigt wird.
- Steigerung der Attraktivität des Lehrberufs:
- Transparenz bei den Aufgaben und verbindliche Arbeitszeiten erhöhen die Attraktivität des Lehrberufs und sind somit ein wirksames Mittel zur Beseitigung der derzeitigen Personalknappheit.
- Ausblick: Mehr Effizienz, Flexibilität und Agilität:
- Die Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells, wie beispielsweise von Mark Rackles vorgeschlagen, das auf der Jahresarbeitszeit basiert, öffnet Schulen die Möglichkeit, sich besser an pädagogische und organisatorische Anforderungen anzupassen. Auch phasenweise anfallende Mehrarbeit kann kostenneutral und für die Lehrkräfte transparent ausgeglichen werden.
Anforderungen an Zeiterfassung
- Einsatz moderner Technologien: Digitale Tools zur Arbeitszeiterfassung werden genutzt, um den Prozess zu vereinfachen und die Datenanalyse zu erleichtern. Die Daten werden vertraulich behandelt und nur für die genannten Zwecke verwendet. Eine transparente Kommunikation über den Umgang mit den Daten kann das Vertrauen der Lehrkräfte stärken.
- Berücksichtigung aller Tätigkeiten: Bei der Arbeitszeiterfassung werden alle relevanten Tätigkeiten erfasst.
- Regelmäßige Evaluation und Anpassung: Die Erfassung der Arbeitszeit sowie sich daraus ergebende Arbeitszeitmodelle werden regelmäßig evaluiert und bei Bedarf angepasst, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden und kontinuierliche Verbesserungen sicherzustellen.
Schlussfolgerung
Die verpflichtende Arbeitszeiterfassung bietet die Chance, die Arbeitsbedingungen im Schulwesen nachhaltig zu verbessern. Durch eine detaillierte Erfassung und Analyse der Arbeitszeiten können gezielte Maßnahmen zur Entlastung der Lehrkräfte und zur Verbesserung der Unterrichtsqualität entwickelt werden. Dies wird nicht nur die Attraktivität des Lehrberufs steigern, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit und Zufriedenheit der Lehrkräfte leisten. Zudem werden Bedarfe von Arbeitszeiten bezüglich einzelner Arbeitsfelder für die Administration planbarer und dadurch kalkulierbarer. Die Einführung der Arbeitszeiterfassung trägt somit zu einer Qualitätssteigerung von Bildung bei.